Die Integration von Täter und Opfer als Aufstellungsritual

Artikel von Alfred Ramoda Austermann

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Bert Hellinger hat viele wichtige Dinge entdeckt, die einen guten Platz unter den Familien- und Systemaufstellern bekommen haben.

Die meiner Meinung nach größte Entdeckung von ihm blieb jedoch weitgehend unbeachtet. Vielleicht ist sie zu schwierig zu verstehen, vielleicht liegen zu viele kollektive Tabus oder Tabus aus der eigenen Familiengeschichte darauf.

1998 in Glarus habe ich zum ersten Mal gesehen, wie Bert bei einem Teilnehmer, der offensichtlich verwirrt war, zwei Personen nebeneinander aufgestellt hat, an die sich er sich anlehnen sollte. Der eine vertrat den Täter und der andere das Opfer aus der gleichen Familie. Der Teilnehmer sollte sich anlehnen und sich vorstellen, dass beide in sich zusammenfließen. Das ganze dauerte etwa 3 Minuten und damit war diese Aufstellung vorbei.
Damals habe ich noch gar nicht verstanden, wie das gehen soll , „So einfach soll das sein-spinnt Bert?“ habe ich mich gefragt. Ein kleines Ritual von wenigen Minuten soll so schwere Leiden lindern helfen?

Auf verfeinerte Weise hat Hellinger im Jahre 2000 in Wiesloch bei einem Seminar vor 500 Teilnehmern zum ersten mal vor großem Publikum diese sehr wichtige Einsicht gezeigt: Möglichkeiten zur Heilung bei Verwirrungszuständen und Psychosen und Verbesserungsmöglichkeiten bei Menschen, bei denen Schizophrenie diagnostiziert wurde.
Die Veranstaltung trug den Titel „Familienstellen bei Psychosen“ und war von Ernst Robert Langlotz ärztlich begleitet. Diese Veranstaltung ist unter „Liebe am Abgrund“, Hellinger 2001 im Carl-Auer-Verlag dokumentiert.

Bert erklärte damals, dass bei Verwirrungszuständen und bei Psychosen, wie auch bei vielen psychiatrischen Erkrankungen die Familiengeschichte eine große Rolle mitspielt. Bei diesen Symptomen hat es häufig mehrere Generationen vorher einen Mord gegeben. Täter und Opfer kommen aus der selben Familie. Dieses kann das Familiensystem oft nicht integrieren. Wenn ein Nachfolgender Täter und Opfer gleichzeitig vertreten muss, hält er diese innere Zerrissenheit nicht aus und reagiert entsprechend. Oft kann das Getrennte in der Seele des Betroffenen durch diese Art von Täter-Opfer-Aufstellung wieder zusammengeführt werden. Das Problem ist häufig, dass die Tat meist kaschiert war und diese Vorfälle schon lange zurückliegen. Somit kennen wir in der Regel keine Fakten. Doch auch nicht Gewusstes wirkt über mehrere Generationen schlimm weiter.

Was Hellinger in Wiesloch gezeigt hat, wurde leider von nur sehr wenigen Aufstellern assimiliert und ist heute beinahe in Vergessenheit geraten.

Vielleicht ist es ein zu schwer zu bewältigender Vollzug, sowohl den Opfern, als auch den Tätern ohne Urteil und Bewertung einen Platz im eigenen Herzen zu geben. Ebenso ist es schwer zu benennen oder sogar ein Tabu, wenn innerhalb einer Familie ein Mord passiert ist. Hellinger weiß sowohl Täter als auch Opfer eingebunden in ein größeres Ganzes. Von dort aus betrachtet, enden die Bewertungen und Urteile. Gelingt dieses, läuft man aber Gefahr, gegen die Zugehörigkeitsregeln des Sippengewissens und vielleicht auch gegen die Zugehörigkeitsregeln einer Berufsgruppe zu verstoßen. Dieses wird oft als eine Art Verrat und als existenzbedrohlich empfunden. Die Integration von Täter und Opfer ist aber nach unser Beobachtung unabdingbar für das Ende von Konflikten und das Integrieren der verschieden Pole. Die Integration von abgespaltenen Täter-Opferanteilen innerhalb einer Familienseele ist von besonderer Notwendigkeit für die seelische Integrität der nachkommenden Generationen.

Wir sind spezialisiert auf Weiterbildungsseminare sowie für jedermann offene Familienaufstellungs- Wochenendseminare. Bei verwirrt und manchmal unterschwellig aggressiv auftretenden Teilnehmern, bei denen eine gewisse Täterenergie zu spüren ist, habe ich zusammen mit meiner Frau Bettina dieses Ritual von Bert immer wieder angewandt und weiterentwickelt. Dabei haben wir immer wieder eine überzeugende Wirkung beobachtet. Ich schildere hier unsere Weiterentwicklung: