Das Leid der Ahnen und die Depression von heute

Artikel von Ramoda und Bettina Austermann in der SEIN 2015

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Depressionen

Depressive Verstimmungen hat jeder mal – wenn es sich aber um massive Depressionen handelt, kann ein „Blick hinter die Kulissen“ mittels einer Familienaufstellung aufschlussreich und lösend sein. Was sich in Hunderten von Aufstellungen bei Depressionen immer wieder als Hintergrund gezeigt hat,
beschreiben Ramoda und Bettina Austermann

Wer von Depressionen heimgesucht ist, hat es schwer. Auch für das Umfeld, die Familie und die Freunde ist es oft schwer auszuhalten.

Nach unserer Erfahrung gibt es zwei völlig verschiedene Ursprünge von Depressionen: Bei der einen Art der Depression fühlt man sich leer, latent traurig, energielos und hat immer irgendwie das Gefühl, ein Loch in der Brust zu haben. Alles ist hoffnungslos, dunkelgrau bis schwarz. Diese Art von Depression hat immer mit Verlusten in der eigenen Geschichte und auch in der Geschichte der Eltern und der Vorfahren zu tun. Hier fehlen geliebte Menschen, die zu früh gestorben sind und deren Verlust nicht betrauert werden konnte. Das Umfeld reagiert oft verständnisvoll, aber auch hilflos, dadie Quelle oft nicht bekannt ist.

Die andere Art von Depressionen ist viel heimtückischer und schwieriger aufzulösen: Hier geht es um eine unbewusste und gewaltig wirkende Verstrickung mit einem Täter aus dem Familiensystem. Menschen mit dieser Art von Depression sind auf eine ganz andere Art energiereduziert, als wenn jemand Geliebtes fehlt.

Es sind oft Menschen, die sehr leise sprechen und anderen auf unangenehme Weise eine große Aufmerksamkeit aufnötigen. Sie fühlen sich oft auch ungerecht behandelt und gemobbt und meinen, die Welt gegen sich zu haben, ohne zu verstehen warum. So nehmen sie sich oft als Opfer wahr und finden 1000 Ausreden, warum es besser ist, nicht zu handeln oder sich für das eigene Wohl zu engagieren. Im Umfeld dieser Menschen reagieren andere oft aggressiv.

Du gehörst nicht mehr zu uns

Wenn in einer Familie Menschen durch Gewalt und Mord sterben, wird oft der Täter oder die Tat ausgeschlossen. Es ist schwer, einen Täter zu lieben. Man tut so, als gehöre derjenige, der das getan hat, nicht dazu, und schließt ihn aus der Familie aus.

Über den Täter wird oft nur noch als „der böse….“ gesprochen oder die Familiengeschichten werden generell totgeschwiegen. Zu viel Scham liegt auf dem, was passiert ist. Manche Morde wurden vertuscht und wirken dann unter der Oberfläche als Familiengeheimnis destruktiv weiter.

Seit dem großen Boom der Familienaufstellungen ist bekannt, dass alles, was in einer Familie, einem Clan oder einem Land ausgeschlossen und verdrängt wird, sich in späteren Generationen wieder meldet. Ausgeschlossenes und Ungeliebtes wird so wieder in die Familie zurückgeholt, da unbewusst jedes System, jede Sippe und jede Familie nach Ganzheit strebt. Ohne eine bewusste Wahl werden Nachgeborene vom Familiensystem in die Pflicht genommen und vertreten einen Ausgeschlossenen. Wie ferngesteuert wird manchmal jemand von etwas „geritten“, was kein Außenstehender nachvollziehen kann. Derjenige verhält sich sonderbar und tut Dinge, die man gewöhnlicherweise nicht tun würde. Er vertritt dann jemanden, der „böse“ war und ausgeschlossen wurde. Dieses Ausschließen kann in der jüngeren Vergangenheit liegen, aber auch mehrere Generationen früher passiert sein, so dass oft keinerlei Fakten verfügbar sind.

Schadensverhütung

Damit das Schlimme und Böse nicht erneut hervorbricht, wird alle Lebensenergie gebremst und nach innen gezogen. Jegliches Ausbrechen von Energie könnte ja Gewalt hervorbringen. Bei manchen Depressiven geht die Aggression so weit nach innen, dass sie sogar Tendenzen haben sich selber umzubringen, damit niemand anderes in Gefahr gerät.

Die Macht einer solchen Verstrickung kann gespenstisch sein. Wen es „erwischt“ hat, der hat eine „Arschkarte“ gezogen. Das sucht man sich natürlich nicht freiwillig aus, vielmehr ist es ein schweres Schicksal für den Betroenen und für das Umfeld.

Licht ins Dunkel

Mit Aufstellungen kann man die Ursache der Depressionen ausndig machen und das Fehlende hinzufügen. Bei der ersten Art der Depression geht es darum, die früh gestorbenen und nicht betrauerten Menschen ins Bewusstsein zu holen und mit Liebe und Mitgefühl auf die Ahnen zu schauen, die damals nicht trauern konnten, weil sie keine Kraft dazu hatten, beispielsweise weil Krieg war oder der Schock unerträglich tief. Erst einmal ist anzuerkennen, dass ein Späterer, der unter Depressionen leidet, sehr mit dieser Trauer und den Folgen des tragischen Ereignisses verbunden ist. Ganz allmählich dürfen dann die Gefühle zu denjenigen zurückießen, zu denen sie eigentlich gehören.

Wenn es um die zweite Art der Depression geht, ist eine tiefe, spirituell sehr herausfordernde Seelenarbeit nötig. Sowohl Täter als auch Opfer sind eingebunden in ein größeres Ganzes und vor etwas Höherem gleich. Von dort aus betrachtet enden die Bewertungen und Urteile. Gelingt es, den ausgeschlossenen Täter zu lieben und ihm einen Platz im Herzen zu geben, wird der Horizont weit und das Innere still und friedlich. Der Nachfahre ist endlich frei davon, diesen ausgeschlossenen Täter zu vertreten.

Höhere Weisheit

Es ist eine schwer zu bewältigende Herausforderung, sowohl den Opfern als auch den Tätern ohne Urteil und Bewertung einen Platz im eigenen Herzen zu geben, gerade wenn in einer Familie so viel Leidvolles geschehen ist.

Man läuft Gefahr, gegen die Zugehörigkeitsregeln des Sippengewissens und vielleicht auch gegen die Zugehörigkeitsregeln einer Familie, einer Berufsgruppe oder eines Landes zu verstoßen.

Es ist beispielsweise sehr schwer, dem vergewaltigenden russischen Soldaten, der die Urgroßeltern getötet und die Großmutter geschändet und geschwängert hat, einen Platz im Herzen zu geben. Dementsprechend wird eine solche Integration oft als eine Art Verrat und als existenzbedrohend empfunden. Die Integration von Täter und Opfer ist aber nach unserer Beobachtung unabdingbar für das Ende von Konikten im Innen wie im Außen. Am Ende ist Frieden, wenn sich – bildlich gesprochen – Täter und Opfer in die Augen schauen können und wenn beide über das Schlimme weinen können, was geschehen ist. Das geht aber immer erst, wenn der Täter auch geliebt wird. Gerade in dieser großen spirituellen Herausforderung liegt ein weites Heilungspotential für Depressionen.

Versöhnungsmeditation Anleitung

Wenn du dich von den Schilderungen angesprochen fühlst, möchte ich dich zu einer kleinen Versöhnungsmeditation im Sitzen einladen:

Setze dich und lege zwei Kissen in Armlänge vor dir auf den Boden. Sammle dich und atme sanft in dein seelisches Herz in die Mitte der Brust. Lege deine Handächen auf dein Brustbein, dein Herz. Gehe nach innen. Stelle dir vor, dass irgendwann einmal in der Geschichte deiner Familie etwas sehr Schlimmes geschehen ist, was bis heute nicht in Frieden ist und auch in dir weiterwirkt.

Du brauchst nichts darüber zu wissen und auch nichts Konkretes zu benennen.

Es sind Menschen gewaltsam umgekommen und es hat auf der anderen Seite Täter gegeben, die das getan haben.

Stelle dir vor, eines der Kissen vertritt die Täterseite (einen oder mehrere) und das andere Kissen vertritt die Opferseite (einen oder mehrere). Du brauchst nicht zu benennen, welches Kissen was vertritt.

Lasse deine Herzenergie in deine beiden Handächen ießen. Behutsam, aber mit den ganzen Handächen, legst du auf beide Kissen eine Hand. Atme sanft in dein Herz. Stelle dir vor, dass du von beiden Seiten etwas in dein Herz leitest. Durch deine Hände und deine Arme ießen wie durch einen Kanal von beiden Seiten die jeweils unterschiedlichen Energien zu dir, die Energien der Täterseite und die Energien der Opferseite.

In deinem Herzen vermischen sie sich und werden zu einem Ganzen. Von deinem Herzen wiederum ießen warme Ströme von Herzenergie durch deine Arme zurück zu den beiden. Das heißt nicht, dass du etwas für sie tragen oder lösen musst. Du bist nur der Nachkomme, die Nachkommin.

Während die beiden unterschiedlichen Energien in dir zusammen ießen, sagst du innerlich zu den beiden: „Auch wenn ich nicht weiß, wer ihr seid: Ihr gehört beide (beide Seiten) zu meiner Familie, und ich gebe euch einen Patz in meinem Herzen. Ihr seid schon lange gestorben. Möget ihr euren Frieden finden.“

Du hältst noch eine Weile inne und spürst, was in dir geschieht. Dann löst du die Hände von den Kissen, ziehst dich einen Meter zurück und stellst dich hin. Verneige dich vor den beiden Kissenplätzen, um den oft Unbekannten die Ehre zu erweisen.

Dann drehst du dich weg davon und gehst noch einige Schritte weiter weg. Stelle dir vor, dass du jetzt auf dein eigenes Leben schaust: deine Freunde, deine Familie, deine Arbeit, deine geliebten Hobbys…..

Alles Gute mit dieser Meditation. Wenn du spürst, dass sie dir gut tut, kannst du sie beliebig oft wiederholen. Du kannst niemandem damit schaden.

Versöhnungsmeditation Audio

Du kannst mit Hilfe dieser Audiodatei dich durch diese Täter-Opfer-Versöhnung führen lassen:

 

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